Heinrichs Heimatseite
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  Vogel-(Vögel)-Grippe

 

 

Als ich vor einigen Tagen meine Kuckucksuhr zunagelte, wandte mein Wellensittich seinen Kopf nach links und äugte mich rechtsseitig so an, wie ich es immer schon nicht gut vertragen konnte. Aber dieses Mal war ein Anlaß gegeben, der eben auch ihn betraf. Vogelgrippe. Ich erinnere mich nicht, ihn je krank erlebt zu haben.                                                                                                                                                    Habe ich ein Signal verpaßt, muß ich mich neu orientieren? Soll ich kleinere Brötchen backen, mich auf einen Mikrowellensittich oder einen Ultrakurzwellensittich einstellen? Das sind Fragen, die mich tagsüber beschäftigen und auch in die Nacht hinein nicht loslassen. Traumgefährdung ist angesagt, und das wäre am schlimmsten. Neulich träumte mir  von einem Mitbürger, der sich auf seine obszöne Art zu dem Problem äußerte: „Für die Hühnerficker fangen schlechte Zeiten an.“  

Im Traum mochte ich ihm zustimmen, aber nach dem Aufwachen wies ich seine Aussage natürlich strikt zurück und legte eine Runde Empörung ein. Dieser mögliche Übertragungsweg sei abgehakt, weil Hühner nicht sprechen können und Huhnophile selten Menschenfrauen besteigen.

Nun meldet sich mein polyglotter Beo und betitelt mich als Arschloch, da ich ja wohl den Geflügelten die Schuld zuweisen wolle. Recht hat er (sie). Warum haben Vögel keine Titten? Wohl, weil  Hähne keine Hände haben…

In Hamburg sind seit geraumer Zeit die Eros-Center geschlossen, eben wegen der Vögelgrippe. Ungeahnte Perspektiven eröffnen sich, mögliche Folgerungen sind noch nicht absehbar. Das erste Säugetier ist an der Vogelgrippe verendet, ein Kater. Sein Besitzer bemerkte eigenartiges Verhalten wie Im-Kreis-Laufen und sperrte das Tier weg. Am nächsten Tag fand er es verendet vor. Eine Obduktion offenbarte dann die Infektion. So wird dann wohl auch das deutsche Spruchgut umgeschrieben werden müssen, nach dem es bisher hieß, die Katze – und somit auch der Kater – lasse das Mausen nicht. Künftig wird man ihr (ihm) nachsagen müssen, sie (er) lasse das Vögeln nicht. Tiefgreifende Änderungen auch anderer Art stehen uns bevor. Zwei weitere Feliden sollen auf Rügen dem Vogelgrippe- Erreger zum Opfer gefallen sein…Wir werden unsere Ernährungspläne umstellen müssen. Galt Geflügelfleisch – abgesehen von den zahlreichen Salmonellen- Intermezzi – zwischendurch als grüner Bereich, muß auch hier relativiert gedacht werden. Was dem Kater billig war, könnte den Homo Sapiens teuer zu stehen kommen. Überleben die BSE-Prionen 380° Celsius (wer kann schon so heiß kochen?), ist über die Temperatur-Toleranz der Vogel-Vögel-Grippe-Viren noch zu wenig bekannt. Aber wir sind flexibel, haben wir doch inzwischen Alternativen. Schweinepest und Geflügelpest haben sich wieder gemeldet. Beide sind wohl nicht auf den Menschen übertragbar, erhöhen jedoch nicht unseren Appetit.  

Und da ist nun auch neuerdings noch EHEC. Damit ist den militanten Vegetariern der wichtigste Trumpf aus der Hand gefallen. Ohne Trumpf jedoch kein Triumph...

 

 

Leben


 


 

„Nein, tu es nicht!“

Erschrocken hielt das Mädchen an der zweiten Querstange der Reling inne auf seinem Weg.

„Tu es nicht!“ wiederholte der Alte hinter ihr, diesmal ruhiger und leiser, aber nicht weniger fordernd.

„Siebter, achter Monat? Oder schon weiter?“

Die junge Frau stieg wie in Trance herab, stand mit beiden Füßen auf den Decksplanken und schaute dem alten Mann blicklos ins Gesicht.

„Du bist auf einer Fähre, hast die Passage bezahlt und willst nicht ankommen? Erklär’s mir.“

Anita wollte etwas sagen, öffnete den Mund.  Aber es kamen keine Worte.

„Du willst nicht ankommen.  Aber es will ankommen.“ 

Der Alte wies auf ihren gewölbten Leib. „Er oder sie will ankommen, bald – wohl sehr bald.“

„Was will der Mann? Daß ich nicht springe? Weshalb – was gehe ich ihn an? Wen gehe ich etwas an?“

Als dächte sie selbst weiter, fuhr der Alte fort:

„Dein Leben liegt in deiner Hand, meinst du. Und niemanden sonst geht’s was an. Gottes Hand sei leer, magst du denken. Doch würdest du nicht allein springen, ein zweites Leben mitnehmen, das erst beginnen will.“

„Ich kann und mag nicht mehr“, sagte Anita endlich.

Sie sah dem altenMann in die Augen und die Traurigkeit darin.

„Vor zehn Jahren konnte und wollte meine Tochter auch nicht mehr…“


 

(HeinrichBaumgarten, 23.10.2009)


 


 

Ein Hundemärchen


 

Es war einmal ein Mädchen, das hieß Caniphile.

Sie liebte Hunde über alles, was wohl auch an ihrem Namen lag. Den ganzen Tag saß sie auf ihrem Lehnstuhl, in Gesellschaft zweier Hunde. Der eine hieß Charlie und war ein brauner Dackel. Er war an kurzer Leine mit einem Ring verbunden, der hinter Caniphiles Lehnstuhl in die Wand eingelassen war. Noch sieben solcher Ringe steckten in den Wänden des Zimmers, doch ohne Leinen, ohne Hunde. Ein zweiter, weißer Dackel ohne Namen stand vor Caniphiles Stuhl, an einer längeren Leine angebunden, in deren Halteschlaufe das rechte Hinterbein von Caniphiles Stuhl stand.

Beide Hunde schwiegen beharrlich – kein Gebell, kein Winseln kein Knurren kam über ihre Lefzen.

„So, ihr Hunde“, hub Caniphile an, „ihr seid langweilige Zimmergenossen. Ich habe mir die Wohngemeinschaft mit euch anders, hundeakustisch intensiver, vorgestellt. Ich werde jetzt dich, Charlie, losschicken, euch und mir geselligere Mitbewohner zu suchen. Ich gebe dir eine Stunde Zeit.“ 

Damit erhob sie sich schwerfällig (denn sie war kein leichtes Mädchen) vom Polster ihres Lehnstuhls und löste des Dackels Leine aus dem Wandring. Charlie verließ eilig den Raum; denn die Tür stand, wie immer, offen – und verschwand.

Eine Stunde war vergangen. Kein Charlie kam zurück, geschweige denn unterhaltsame hündische Gesellschaft. Caniphile runzelte die Stirn, was sehr lustig aussah; denn sie war – wie gesagt – ein wenig schwer für ihr Alter.

Plötzlich öffnete der namenlose Hund die Schnauze und sprach, zu Caniphiles Überraschung:

„Liebes Frauchen Caniphile, wunderst du dich nicht allmählich selbst über die vielen leeren Leinen-Anker an den Wänden? Acht waren mal besetzt mit Hunden. Mich hast du an deinem Stuhl angeleint, weil keiner mehr frei war. Wir alle haben still gewartet, daß du endlich mal aufstehst und mit uns Gassi gehst. Aber du hast immer nur faul dagesessen. Und da sind wir so traurig geworden, daß wir gar nichts mehr sagen mochten. Und dann hast du einen nach dem andern von uns losgeschickt, dir Gesellschaft zu besorgen.“

Caniphile schlug sich an den Kopf und rief: „Ach so!!!“

„Ja, ach so“, entgegnete der namenlose Hund, „ist das alles, was dir dazu einfällt? Jetzt hast du nur noch mich. Aber ich mache dir einen Vorschlag. Wir Hunde haben, als du schliefst, etwas abgemacht. Wenn du versprichst, mit uns regelmäßig auszugehen, dann bleiben wir hier. In meinem Halsband ist eine Hundepfeife versteckt. Wenn du willst, kannst du die anderen damit zurückrufen.“

So geschah es. Caniphile blies, alle Hunde kamen zurück, und dann gingen sie gemeinsam nach draußen. Die Hunde brachten Caniphile wieder das Gehen bei. Und es machte ihr Spaß!

Wenn ihr mal ein schlankes, sportliches Mädchen mit neun Hunden irgendwo trefft, dann dürft ihr Caniphile zu ihr sagen…

                                                             


 

Salderatzen, 15.11.08


 

Ich – ein Möbelstück! (?)


 

Wenn ich mich denn vermöbeln soll,so will ich mir rechtzeitig überlegen, was ich werden soll. Nach meinem Willen und Entschluß. Nicht, daß mir später Klagen kommen von mir selbst und über mich. Ein Barockschrank werden wollen, aber nur gerade genug Holz für einen Hocker mitbringen. Großkotz, Hybris-Junkie.

Überhaupt – Schrank? Hocker als bescheidenere Alternative? Nesthocker, Nestflüchter? Assoziativer Chaot, ach ja.

Sitzmöbel: Bedenke, dass du dann dafür arbeitest, anderen Muße zu schenken.. Helfersyndrom für Sesshafte und Sitzgrößen, Sesselhocker.

Sitzbank vielleicht eher. Du darfst Härte zeigen und verkürzest die Verweildauer deiner Be-sitzer. Abwandlungen für Stuhl, Couch, Sofa & Co. Denkbar, aber wenig ergiebig.

Und Tisch? Auf den etwas kommt, an den man sich setzt, an dem (gesetzt, du bist rund) große Dinge zur Verhandlung kommen? Unter den etwas fällt, so dass du dann Unwichtiges bedachst und bedeckst?

Nein, dann doch eher gleich Teppich, unter den manches gekehrt wird? Auf dem alle bleiben sollen? Der als Orientale fliegen kann? Ich weiß nicht recht…

Als Möbel mach den Kopf mobil, laß ihn so bleiben und wähle weiter – nein, erst weiter überlegen.

Könntest du Spiegel sein? Dann lernst du viele Leute kennen, bekommst sie zumindest zu Gesicht und darfst Zeuge ihrer Eitelkeit, Betroffenheit werden. Doch bleibt dir nichts von ihnen – wie dem Sofa eine Einbeulung, dem Tisch ein Fingerabdruck, Fett- oder Kaffeefleck. Ob Abdruck oder Abbild – sehr fern, sehr weit weg von Originalem. Nicht sehr originell.

Sei es dann ein Ofen, der du sein magst? Ein Wärmespender, Mittelpunkt des gemütlichen Beisammenseins von Menschen? Doch vor die Wärme hat die Physik das Brennmaterial gesetzt, das man zuhauf in dich hineinstopft, auf dass du das Glühen lernst, bis dir die Asche aus dem Kasten staubt. Hm, je nun.

Was könnte dich denn wirklich reizen, Diplomskeptiker? Ein jedes Für verkommt bei dir zum Wider. Gib’s zu – sehr wählerisch und mäkelig gibst du dich. Oder bist du’s tatsächlich? Ich kenne dich und weiß daher, du bist immer gut für eine neue Überraschung.

Eine Lampe. Eine Lampe? Hänge-, Steh-. Decken-, Nachttischlampe? Lampe über der Haustür, Gäste zu begrüßen oder ihnen heimzuleuchten? Nein.

Dienstbarer Geist im Spül- und Waschgeschäft, ganz in Weiß und elektrisch, dreimal A in der Effektivität? Du kannst, du willst dich nicht entschließen, entscheiden. Du schiebst hin und her von Plus zu Minus, von links nach rechts, vom Ja zum Nein, bist eriwanisch prinzipiell. Ja – aber; nein – aber, doch kein Sowohl-als-auch.

Kauf dir nicht ständig den Schneid selber ab, sonst bist du bald pleite, und deine Möblierung geht den Weg alles Vergänglichen in die Lagerhalle eines Entrümpelungsunternehmens.

Nicht ein Möbel – nun weiß ich’s – will ich sein, sondern ein komplettes Mobiliar, eine Ausstattung. Stilistisch variiert – von allem ein wenig. Nicht perfekt durchstylt. Perfezione corrompe – Perfektion verdirbt. Du bestehest aus Barock – auch Gelsenkirchener -, Biedermeier, Louis-Seize, Jugendstil, Nierentischchen-Optik, Luigi Colani und Otto-Versand. Und als Tüpfelchen auf dem Identitäts-i darf’s ein Art-Déco-Objekt der zeitgeistigen Strömung durchaus sein…


 


 


 


 

Omasorg-Theater


 

„Findest du diese Lampe wirklich passend zur Sitzgarnitur?“

Renate hielt große Stücke auf sich, auf ihren Geschmack, eine gute Mutter und Schwiegermutter zu sein. Großmutter sowieso.

Warum nur hatte ihr Sohn gerade diese Frau geheiratet? Sie würde es wohl nie verstehen.

Natürlich ging sie das eigentlich nichts an.

Leicht irritiert bemerkte Carola, daß ihre Schwiegermutter an der gestickten Tischdecke zupfte. Geschenk zur letzten Weihnacht. Sie hatte sie zum ersten Mal aufgelegt in ihrem sonst deckenfreien Haushalt.

„Meinst du nicht auch, daß dein Mann zuviel arbeitet?“

Er heißt Gregor, dachte Carola.

„Ihr könntet euch mal wieder ein langes Wochenende gönnen. Städtereise Wien, Paris, London. Das Internet ist voller Schnäppchen. Ich nehme die Kinder gerne wieder zu mir.“

„Danke, Mutter, aber…“

„Ihr solltet wirklich mal dringend ausspannen. Es würde meinem Sohn gut tun, mal ohne Kinder.“ Wieder dachte Carola den Vornamen.

„Aber mit mir, oder?“ Sie konnte dabei ein wenig lächeln.

„Natürlich, was sollst du hier zu Hause allein rumsitzen?“

„Natürlich.“

Wie meistens, wenn seine Mutter zu Besuch war, hatte ihr Mann etwas Dringendes zu erledigen. Diesmal ging es um die Baumarkt-Pergola, die er zusammenschrauben mußte.

„Wir würden gerne die Kinder dabei haben, und wenn es auch nur für eine Woche Urlaub reichte. Aber jetzt, in der Schulzeit…“

„A propos Schule – aus meiner Erfahrung als Pädagogin weiß ich, daß ihnen etwas Abstand von euch den Druck nehmen würde bei eurer Hausaufgabenkontrolle. Ich kümmere mich darum, und bei mir funktioniert das reibungslos. Aber wozu sage ich das überhaupt.“

Ja, dachte Carola, wozu überhaupt.

Die Schwiegermutter fuhr fort: „Ich werde dann gleich mal mit meinem Sohn sprechen, wenn er mit seiner Arbeit fertig ist. Er baut euch so ein schönes Heim.“

Carola fröstelte es. Die Kontrolle drohte, von der ersten auf die folgende Generation

 durchzusickern.


 


 

(Heinrich Baumgarten, 25.10.2009)

 

 


 


 Bildbetrachtung bäumlings


 Genmanipuliertes, aber sympathisches Holzmonument!

Einäugiges Nashorn heißt du bei mir, denn zweifelsohne hast du nur ein linkes..

Dich als Nashorn zu erkennen, war mir einfach; denn du wirkst einfach nashornschädelig. 

Das ist nicht schädlich, aber gestatte mir, zu deinem Design einige Fragen zu stellen beziehungsweise deinem Designer einige Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten.

Ist es nötig, dass du außer dem fehlenden rechten Auge völlig deplazierte Ohren bekommen hast? Eines dient dir – anstelle des namengebenden Horns - als integrierte Gesamtnase, während das andere dir recht unmotiviert aus der rechten Wange hervorragt. Aber vielleicht versteht man das ja heutzutage unter hervorragendem Design…

Ein Blick in deine Mundhöhle weckt Höllen-Assoziationen. Recht wackelig schaut es dort aus, und die wenigen Kuchenzähne, die da von oben nach unten ragen, erinnern mich an einen Hai, der vergessen hat, die nächste Zahnleiste hinunterzuklappen, um wieder Biss zu erlangen. Es wäre viel an dir – für dich – zu tun; aber wer traut  sich , dich anzufassen und den Versuch einer Optimierung zu unternehmen?

Ich nicht, auf keinen Fall jedenfalls.

Aber einer musste dir ja mal sagen, wie du auf ihn wirkst. Sympathisch…

Vorsorge


 


 


 

Der Internist lächelte seinen Patienten an. „Das war es wieder mal. Alles in Ordnung mit Ihnen. Wenn Sie sich nun noch etwas Gutes erweisen wollen, stellen Sie das Rauchen ganz ein. Sie tun damit eh nur der Tabakindustrie und dem Finanzminister einen Gefallen.“

„Klar, Dr. Gröbel, aber ein kleines Laster muß der Mensch doch haben. Wenn wir zu alt werden, plündern wir die Rentenkasse und verderben’s mit unseren Nachkommen.“

Der Arzt schmunzelte. „Wir sehen uns dann im nächsten Jahr wieder. Sie werden rechtzeitig angeschrieben.“

Vor der Praxis zündete sich Felix eine Zigarette an, halb erleichtert, halb zur Belohnung.

Er registrierte einen dumpfen Knall, drehte sich zur Fahrbahn und sah das Autorad, das sich rasend schnell auf ihn zu bewegte, von der Bordsteinkante hochgeschleudert wurde und ihn

am Kopf traf. Er war sofort tot, kerngesund.


 


 


 

(Heinrich Baumgarten, 26.10.2009)

 


 Falscher Ort, falsche Zeit...

 

 

Es ist nie zu früh herauszufinden, welcher Finger an der Hand der längste ist. 

Wer hat den Längsten -alte Pubertätsübung der Y-Chromosomer.

Und wenn dann noch ein Böhmermann im Böhmerwald die Axt schwingt und den Mythos der Authentizität dem Boden gleich macht, dann sind auch die Techniker der konkurrierenden Anstalten des Öffentlichen, Gebührenpflichtigen, eingeschnappt. Daß stehende Bilder schon lange nicht mehr verläßlich sind, wußten wir schon. Aber daß sie nun nach dem Laufen auch das Täuschen gelernt haben, verblüfft die ausgebuffte Branche.

Daß Nikita Chruschtschow bei der UNO nicht mit dem Schuh aufs Rednerpult geschlagen hat, ist inzwischen erwiesen. Aber das war noch analoge Fotomontage, die leichter nachzuweisen war. 

Heute sind wir digital. 

Digitus = der Finger. Digitus olens = der stinkende Finger. 

Fingerzeige sind heute nötiger denn je, um den BLÖD-Lesern zu suggerieren, daß man auch VarouFUCKIS sagen könnte... 

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Von Blogger am 3/20/2015 07:50:00 nachm. unter 

Ich will mich nicht "bloggieren"

 eingestellt

 

 

 

 

Aus "BOSHEITERKEITEN", 1994

     

Wie ich mir meinen Nachruf denke

 

Wer hätte das gedacht?

Jetzt sagt er nichts mehr, und das wird auch so bleiben.

Keine Witze, keine passenden oder unpassenden Bemerkungen, kein Geläster.

Wer ihn kannte, weiß, daß ich das jetzt sagen darf. Humor hatte er ja gelegentlich, und bei ähnlichen Anlässen wie dem heutigen sagte er schon mal respektlos: „Kiek mol, Hannes hett nu ook de EJZ afbestellt!“ Grinsen wird er, wenn er mich jetzt hört, und das sollte uns alle freuen.

Wir hätten ihn gerne noch eine Weile bei uns gehabt, aber „wat nich iss, dat iss nich un kann ook nich sien.“

 

Kotauziehen in Berlin 

 

 

Die "Affäre Böhmermann" entlarvt die herrschende Prinzipienuntreue der Kanzlerin und ihres Kabinetts. Wenig nettes, aber aufschlußreiches Kabinettsstück.  

Leider werden sich Pegida und AfD von der allgemeinen Empörung ein riesiges Tortenstück einheimsen... 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eine Episode



Ich sehe den kleinen vierjährigen Heinrich, wieder einmal allein zu Hause.

Es muß spät abends oder nachts gewesen sein, da er uneingeschränkte Bewegungsfreiheit und Hoheit über die gesamte Wohnung genoß und auskostete.

An diesem Tage hatte er vor, Mutters kleine Wunderkristalle näher zu untersuchen. Sie wurden in der Küche aufbewahrt in einem kleinen, runden Döschen, das - soweit er sich nun erinnert - mit glänzend-buntem Papier beklebt war. Etwa streichholzschachtelgroß, aber eben rund.

Die besagten darin befindlichen Kristalle waren violett, und sie strömten einen starken Geruch aus, den er nirgendwo anders erlebt hatte.

Wenn Mutter Fleisch aufbewahren wollte, tat sie es in eine Emaille-Schüssel, bedeckte es mit Wasser und fügte dann, vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger, die kaum in das Döschen passen wollten (denn Mutter hatte recht große Hände) eine winzige entnommene Menge der Wunderkristalle dazu.

Augenblicklich färbte sich das Wasser tief violett, so daß vom Fleisch in der Schüssel kaum noch etwas zu sehen war. Es gab wohl noch keinen Kühlschrank in ihrem Haushalt, oder es war halt eine von Mutters Hygiene-Marotten, die sie den chemischen Weg wählen ließ.

Heinrich war vorsichtig, denn er argwöhnte, daß sein Untersuchungsobjekt in mancherlei Hinsicht mächtig war. Die Färbekraft, der starke Geruch, das kantige Gefühl zwischen den Fingern. Jetzt fehlte nur noch das Geschmackserlebnis zur vollendeten Sinnenfreude.

Also ins Bad mit der Probe - wie damals mit der Leimflasche, die auf den Fliesen umkippen durfte und ohne Nachwirkungen, weil spurlos gereinigt werden konnte, für den Jungforscher blieb.

Vor das Waschbecken gestellt, Fingerspitze mit Wunderkristall vorsichtig auf die Zungenspitze gegeben - dann Brechreiz der ersten Sorte.

Heute weiß Heinrich, bei der Substanz handelte es sich um Kaliumpermanganat, KMnO4. Zwei Metalle und vier Sauerstoff-Ionen in der Verbindung. Daher der metallische Geruch und der widerliche Geschmack. Und die desinfizierende Wirkung des Sauerstoffs.

Mund gründlich gespült, Waschbecken entfärbt, Hände geschrubbt - gerettet...




Wahlkrampf-Gewusel in den USA


Nun, wir wissen schon lange, daß Politiker sich verkaufen lassen wie Shampoos oder Autos, Tampons oder Whiskey.

Doch was die gegenwärtige Kampagne der Präsidentenwahl betrifft, erleben wir alle ein Novum. Zwei unbeliebte Kandidaten - einer davon erstmalig ein weiblicher - stehen einander gegenüber. Eine Streberin und ein angeblich superreicher Prolet.

Über letzteren äußerte sich vor Wochen eine Amerikanerin: "Seit ich Donald Trump erlebe, kann ich verstehen, was sich vor 80 Jahren in Deutschland vollzogen hat."

Nun denn. Wir hoffen mit der Welt, daß der Schnupfen als kleineres Übel die Cholera besiegt...



 

 

 

 







Did he really say "You rumpsteak" ?



 

 Du brauchst nichts zu besitzen, um Dich reich zu fühlen



Seltsam, daß ich jetzt darauf komme, nach über 65 Jahren!

Die erste lange Bahnreise - von Osterode nach Darmstadt!

Ich wußte nicht, wo das liegt, wie Mutter und ich dorthin kommen sollten. Aber mit der Bahn!

Ich hatte Züge gesehen, den Geruch von Lokomotiven-Dampf und -Rauch in der Nase. Aber mitgefahren war ich noch nie.

Warum nach Darmstadt?

Wir durften Vater besuchen, der dort bei den Amerikanern interniert war.

Was das bedeutete, wußte ich nur dadurch, daß er so lange nicht bei uns gewesen war. Aber warum und wieso?

Egal. 1947. Volle Züge, Holzklasse, wenn man Glück hatte und einen Platz bekam.

Wir hatten Pech und saßen mal in einem Bremserhäuschen, mal auf einem Wagenpuffer, ja einmal standen wir gar, dicht nebeneinander, auf einem Trittbrett, und ich glaube, noch meine weißen Fingerknöchel vor Augen zu haben, als ich mich an dem eisernen Haltebügel neben einer Waggontür festkrallte.

Meine furchtlose Mutter, gut halb so alt wie ich heute, und ich.

Aufregend, windig, schmutzig - manchmal flogen Funken von der Lok ins Haar.

Zwischendurch mußten wir ja irgendwie und irgendwo auch einmal geschlafen, gegessen haben. Ich weiß es nicht mehr. Wohl weil es unwichtig war.

Ich sollte meinen Vater wiedersehen, an den ich mich kaum noch erinnerte.

Welche Erwartungen hatte ich? Eine Erwartung halt nur, die mich befeuerte, alles andere bedeutungslos machte.

Wir waren in Darmstadt, am Lager mit vielen anderen, die ihre männlichen Angehörigen endlich besuchen durften nach langer Zeit. Wir durften am Zaun stehen, einander sehen und sprechen, uns durch die Maschen die Hände reichen.

Nicht lange, aber für mich lange genug, mich glücklich zu fühlen.

Und ein Jahr später kam mein Vater wieder nach Hause zurück.



Die erste Fähre nach drüben




Es ist 07.00 Uhr morgens am 24.12.1989. Heiligabend. Ich bin vorbereitet, um 08.30 mit der Fähre "nach drüben" zu fahren. Drüben, das ist, solange ich hier wohne, das jenseitige Elbufer mit seinem Grenzzaun, seiner Menschenleere, mit DDR-Patrouillenbooten, von deren Besatzung man nur die Feldstecher vor den Gesichtern zu sehen bekam.
Wir können nun nach drüben, nachdem die von drüben seit dem 09.11. zu uns herüber durften. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, das ich nicht fassen, benennen kann. Freude mischt sich darin, aber auch Verwirrung, ein wenig Furcht, Ungläubigkeit. Werde ich bald erwachen und feststellen müssen, daß ich nur geträumt habe? Daß alles nicht gilt? Daß sich ein Wunsch verselbständigt hat?
Aber weshalb pessimistisch sein? Ich will daran glauben, mich nicht unterkriegen lassen...
Ich möchte froh sein, mich dem Gefühl hingeben, daß auch einmal etwas geschehen ist, was sich jeglicher Erwartung und Wahrscheinlichkeit zum Trotz eingestellt hat. Laßt es wahr sein, laßt es gut sein, gut bleiben, gut werden.
Natürlich war ich viel zu früh an der Fähre, wunderte mich unterwegs noch, daß Klaus Lübke seinen Laden offen hatte. Ach ja, es ist Sonntag, und BamS und WamS wollen an den Mann (die Frau) gebracht werden. Übrigens vermißt man seit dem 9.11. die sogenannten Anführungsstriche bei der Erwähnung des anderen Staates deutscher Nation. Merkwürdig; aber irgendeine Konzern-Strategie wird schon dahinterstecken. Man denke an den potentiellen Markt bei den Sogenannten... Wie mag sich eine gesamtdeutsche BILD-Zeitung wohl lesen?
So wie heute morgen etwa :"Frohe Weihnacht, Deutschland!" ?
Wie dem auch sei, ich schlenderte durch den Nieselregen, der eingesetzt hatte, der Anlegestelle zu. Einige Figuren standen schon auf dem Beton der Slip-Anlage und unterhielten sich. Auf der Fähre brannte Licht, und jemand erledigte letzte Arbeiten an Bord, bis die erste Fuhre des Tages bewältigt werden sollte.
Nach und nach erschienen bekannte und unbekannte Gesichter. Viele der Ankömmlinge trugen Plastiktaschen, an deren Ausbeulung zu erkennen war, daß sie Flaschen enthielten; hier und da lugten mit Weihnachtspapier umhüllte Pakete heraus. Auch ich hatte Naschwerk dabei, das ich mir schon anläßlich des ersten Besucherstroms von DDR-Bürgern  nach Bergen an der Dumme mitgenommen hatte. Damals erschien es mir dann jedoch plötzlich ein wenig albern, mich am Straßenrand zu postieren und etwas in vorbeirollende Trabis hineinzureichen. Aber an diesem Morgen war es wohl angebracht, ein paar Kleinigkeiten als Gastgeschenke zur Verfügung zu haben, da ich selbst hinüberfuhr. Zum erstenmal über die Elbe nach drüben, zum erstenmal von drüben auf Hitzacker schauen können. Vor kurzem noch ein exotischer Gedanke. Vielleicht, hoffentlich, werden wir uns künftig häufiger exotische Gedanken machen dürfen.

Wir legen ab, verdammt noch mal. Darf das wahr sein? Es geht los, egal , ob die Angst bleibt, auf der Mitte der Elbe durch ein Patrouillenboot der DDR gestoppt oder gar beschossen zu werden. Gewohnheit, du verdammtes Stück Dummheit!
Jeder versucht, einen Platz zu finden, von dem aus ein Blick nach vorne möglich ist. Kopflastig wird die Fähre; aber Mike schafft es souverän, Kurs auf die Anlegestelle zu halten. Was ich vorher davon sehe, ist der Buhnenkopf, den ich seit 30 Jahren angestiert habe als den jenseitigen Teil der Unterbrechung, die so leicht hätte überwunden werden können, wenn es nach mir gegangen wäre.
Auf dem Buhnenkopf wimmelt es von Menschen wie Fruchtfliegen, die sich auf einer Bananenschale niedergelassen haben. Unwillkürlich denke ich auch an die Traubenform eines Bienenschwarmes, der am Ast eines Baumes hängt. Dies Bild wird akustisch untermauert durch das Gebrumm des Schiffsdiesels und die Vibrationen, die er in den Leibern der Passagiere erzeugt. Im Näherkommen, fasziniert von dem, was mich gleich erwarten wird, vergesse ich nicht, einen Blick zurückzuwerfen auf Hitzacker. Der Weinberg sieht wirklich hübsch aus, und die Aussichtsterrasse des Kurhauses, wo eine große Grenzübersichtstafel die Touristen seit Jahren über Verlauf und Anlage der innerdeutschen Grenze informiert, erinnert an das Halbrund eines Freilichttheaters. Aber ich nehme aus dieser ungewohnten Perspektive auch zum ersten Mal wahr, was die Windhose mit den Bäumen des Weinbergs gemacht hat. Ein Toupet müßte her.
Mein Blick pendelt zwischen dem Hitzackerschen Ufer und "drüben" hin und her - gleichermaßen Ungewohntes präsentiert sich den Augen, fasziniert, irritiert.
Das jenseitige Ufer kenne ich bisher nur als Heimat von Augen-Wesen, bewaffnet mit Feldstechern, Teleobjektiven. Nun soll ich es mit meinen übrigen Sinnen erforschen dürfen?!
Ja, die Augen werden ihre Bedürfnisse, die ständig gestiegen sind mit dem Fortschritt der Phototechnik, sicherlich befriedigen können. Aber wie wird die Luft dort drüben sein, will meine Nase wissen: wie hört sich das Drüben an, fragen meine Ohren; wie geht es sich dort, möchten meine Beine wissen. Auch die Füße melden sich, wie sie sich radfahrenderweise auf den Pedalen fühlen mögen, wenn es dort über Straßen/Wege/Pfade/Radfahrwege(?) geht. Und die Zunge meldet sich. Sie kann, gemessen an den anderen Sinnes-Terminals, relativ gelassen bleiben, da die Hälfte ihres Aufgabenbereichs als kompatibel vorausgesetzt werden kann: Auch dort darf sie Deutsch sprechen, ohne ihren Wirt in Verlegenheit zu bringen. Aber sie hat ja die anderen 50% ihrer Funktion dort noch zu erfahren, muß sich informieren darüber, wie es dort schmeckt. Ich habe zwar zum Frühstück etwas gegessen, aber immerhin. Ich lasse sie, wenn sie meint, es nötig zu haben. Warte nur, wart es ab, sei nicht so gierig. Sie behauptet, nicht von Gier geleitet zu sein, sondern lediglich gespannt.
Und drüben wird der Buhnenkopf, Anlegestelle der Fähre, immer größer, über und über mit Menschen bedeckt, Menschen, die schauen, winken, warten, erwarten. Uns erwarten. Wir sind nahe genug zu sehen, daß die Pflasterung der Anlegestelle den gleichen Zustand aufweist wie auf unserer Seite, nachdem sie jahrzehntelang nicht genutzt werden konnte.
Das Bild der Menschentraube hat sich geändert: Der Buhnenkopf ist gesäumt von Figuren, in der Mitte ist ein breiter Gang frei. Daher auch die Möglichkeit, mir Gedanken über die Beschaffenheit des Pflasters zu machen.

Die Elemente der Menschentraube bekommen Konturen, Geschlecht, Gesichter. Viele halten Flaschen und Gläser in den Händen. Die Fähre hat angelegt, die stählerne Klapp-Gangway wird hinuntergelassen und schleift kreischend auf den Steinen, als die Passagiere dem Bug zuströmen und das ganze Gewicht des Fahrzeugs ihr auflastet.
Die ersten  verlassen die Fähre, aber es gibt kein Strömen von Bord. Warum, erfahre ich, als ich selber den Fuß an Land setze. Hände strecken sich uns entgegen zum Gruß, anschließend gleich eine Flasche oder ein Glas anbietend. "Rotkäppchen"-Sekt, zum erstenmal live, Weinbrand, Klarer. Ich kann später nicht sagen, wieviele Hände ich geschüttelt, wie oft ich ein dargebotenes Glas welchen Inhalts auch immer geleert, wie oft ich dankend abgelehnt habe. Zunge, wie ist dir? Oft hast du "Guten Tag" sagen können oder "Danke" auf ein herzliches Willkommen. Und du hast schmecken können, daß die anderen Deutschen gut Trinkbares zu bieten haben.
Hinter den letzten Passagieren, die von Bord gekommen sind, vereinigen sich die beiden Menschensäume von den Rändern des Buhnenkopfes und pumpen uns alle freundlich der Deichkrone zu.  Dort angekommen, spüre ich angenehme Wärme und Leichtigkeit im Kopf, wie sie nur Alkohol erzeugen kann.
Den Deich kannte ich seit Jahrzehnten nur vom Sehen; aber nun, beim Überschreiten, sehe ich zum ersten Mal die Weite der Marschwiesen, die mir auf unserer Seite vertraut ist. Nichts Neues also, wie ich mir auch gedacht habe. Zum erstenmal sehe ich auch den unteren Teil der Gebäude direkt hinter dem Deich, deren Dächer sonst nur zu sehen waren von unserer Seite. Und am jenseitigen Fuß des Deiches steht neben seinem VW-Camping-Bus mein Freund Klaus Lehmann. Er hat es wahrhaftig geschafft, schon am Abend vor der offiziellen Öffnung für uns Wessies nach drüben zu kommen. Toll. Ich freue mich für und über ihn...

Nicht unerwartet und daher auch nicht neu ist der Anblick der mecklenburgischen Landschaft. Aber neu ist für mich etwas, was ich weder verhindern kann, noch will: daß mir Tränen in die Augen schießen. Halbblind erklimme ich einen der wartenden Busse und wundere mich beim Einsteigen, wie wohl ältere Menschen die hohe Erststufe nehmen können.
Bitter heißt das jenseitige Ufer, wie uns jahrzehntelang der Informations-Pavillon der Zoll- Behörde gelehrt hat. Der nächste Ort, etwa vier Kilometer vom Ufer entfernt, ist Kaarßen. Dorthin werden uns die Busse fahren.
Dorf-Gasthof, wie man ihn kennt, wenn man auf dem Dorf wohnt. Kapelle, zischendes Freibier und auch Kaffee und Kuchen. Eh kein Kuchen-Fan, lasse ich mich mit Bier verwöhnen. Ich kann was ab, wie wir Norddeutschen sagen. Ist das eigentlich etwas Gutes oder etwas Schlechtes?

Wir verschwesterten und verbrüderten uns, wie man das auch wohl bei einer Karnevalsveranstaltung tut. Die meisten der Erstpassanten von West nach Ost sind in der Folgezeit nicht mehr hinübergefahren. Es war halt schön und galt als schick, dabeigewesen zu sein, und damit hatte sich der Abstecher vom Lebensplan schon ausgezahlt.
Himmel, Arsch und Zwirn, dachte ich mir. Soll das für die Leute alles gewesen sein?
Erst viel später durfte ich lernen, daß das in keiner Weise mein Bier sein sollte.
Aber damals machte es mir schon eine Menge Gedanken. Fast täglich ließ ich mich übersetzen und radelte auf den mit Profil-Löchern versehenen Betonplatten den Deich entlang. Nach vollbrachter Tagesleistung kam ich mir vor wie ein Gorilla. Hände greifen Lenker. Lenker fühlen Unebenheiten. Unebenheiten machen Radfahrer müde.
Schönes Rondell. Es gibt schlimmere Kreisel, manchmal gar Teufelskreise genannt.
Nichts derart. Ich war froh und glücklich, wenn ich von Kaarßen bis Dömitz geradelt war und dann irgendwann wieder zuhause ankam. Diese Art der physischen Erschöpfung vermisse ich heute.

Heinrich Baumgarten



Besucher im Wendland

1963 kam ich ins Wendland und lernte es kennen. Kannte es bis 1991, als ich ins Exil ging. Kam zwischendurch zu Urlaubs-Stippvisiten und lernte wieder kennen, weiter kennen, erschrak über Vergessenes, freute mich über Wiedererkanntes, baute neu Erkanntes ein. Horchte auf, wenn ich draußen Nachrichten aus dem Wendland empfing, reagierte zornig auf kriminelle Energie der Politiker, die es erneut schänden wollte. Klärte auf, versuchte in kleinen Dosen zu informieren in kleinen Sphären, die ich bewohnte. Weckte Interesse hier und dort, erntete Ungläubigkeit und bisweilen Zweifel.
2004 im Herbst mußte und durfte ich das Exil verlassen, konnte wieder hier sein. Konnte wieder hier sein, seit zwei Jahren wieder zu zweit – wie früher, vor dem Exil. Ich kenne das Wendland und lerne es weiter kennen; denn ganz erschließt es sich mir wohl nie, weil ein Teil seines Wesens die Scheu ist. Die Scheu, die es allen zeigt, die glauben, sich seiner bemächtigen zu können. Die Scheu auch, die heimlich-unheimlich auch die befällt, die es zu instrumentalisieren gedenken, sich dienstbar zu machen. Niedersachsens wilder Osten wird immer Pionierland bleiben – jungfräulich, ohne heilig zu sein. Freude, Melancholie, Schönheit und Schroffheit wohnen symbiotisch in kaleidoskopischer Vielsamkeit, zu betrachten und zu erleben wie durch das Facettenauge einer der vielen Insektenarten, die es hier gibt.
Der Positiv besiegt hier den Komparativ; denn ich als älterer Mensch möchte hier gerne alt werden…

 

 

Geistliche Getränke im Advent


(Nach einer wahren Begebenheit anfangs des 20. Jahrhunderts in einem Dorf des Kreises Uelzen. Mein Vater, geboren 1898 in Uelzen, erzählte mir davon, und auch meinem Großvater mütterlicherseits, der in Holdenstedt Lehrer und Kantor war, kam die Geschichte bekannt vor.
Namen der Personen habe ich verändert, obwohl all dies schon seit Tagen verjährt ist...)

Pastor Jochen Behnke war ein Landwirtssohn, und das sah man ihm an; denn er war lang und breit wie ein Holzfäller. Er überragte, wie man zu sagen pflegte, alles Volk um eines Hauptes Länge. Seine Stimme paßte auch dazu – er hatte einen tiefschwarzen Baß und wäre auch in einer Kathedrale ohne Lautsprecheranlage ausgekommen, wenn es so etwas damals schon gegeben hätte. Seine Predigten verstand die Gemeinde nicht nur akustisch, sondern das, was er darin von sich gab, war schnörkellos, ohne pastorales Pathos, geerdet. Man respektierte ihn, mochte ihn. Nicht nur zu freudigen Veranstaltungen wie Hochzeiten, Taufen oder Konfirmationen, sondern auch bei traurigen Anlässen war seine Kirche recht gut besucht, was bei seiner niedersächsisch-dickschädligen Klientel eigentlich nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden konnte.

Abgesehen von seiner respektgebietenden Funktion als Geistlicher genoß er bei den männlichen Gemeindemitgliedern besonderes Ansehen, weil er sich oft und gerne im Dorfkrug sehen ließ. Er war ein hervorragender Skatspieler und liebte – anders als die biertrinkenden Dörfler – einen guten Rotwein, von dem der Wirt stets einige Flaschen vorrätig haben mußte. So manchen Abend konnte man Pastor Behnke, unter den letzten Gästen, bedächtig gen Pfarrhaus heimschreiten sehen. Anderen Ortes hätten Beobachter eher sagen mögen, seine Gangart habe Unsicherheit, gar ein wenig Schwanken gezeigt. Nun ja, es soll gelegentlich vorgekommen sein.

Eines Abends jedoch, in der Adventszeit, geschah etwas Besonderes.
Trotz seiner Erfahrung, seiner gerühmten Taktik, verlor Behnke ein Spiel nach dem anderen. Die Mitspieler wunderten sich, runzelten die Stirn, grinsten auch mal ein wenig schadenfroh – waren doch sie meist die Dummen.
Schließlich konnte sich Hannes Stöver, der größte Bauer im Dorf, nicht mehr




zusammenreißen und meinte: „Na, Paster, wat is denn hüt mit Di los? Hest mit een Mol dat Skatspeelen verlehrt? Kann je woll nich angohn. Dat hefft wi je noch nie beläft!“ Behnke brummelte etwas in seinen Bart und sagte zum Wirt: „Nu laat mi man noch'n Glas Wien hemm!“

„Dat geiht nich, Herr Paster – Se hefft de letzt Buddel utdrunken, un nu heff ick man keen mehr!“
„Düwel ok!“ sä Behnke - ließ aber den hochdeutschen Beelzebub nicht über die Lippen. Auch sonst wurde ihm klare Sprache ein wenig schwer. Mehr als zwei Flaschen mußte er getrunken haben.

Stöver griente und hatte eine großartige Idee. „Paster, ick will Di mol wat vörslagen. Du kannst'n ganze Kist mit Dien Rotwien von mi kriegen, wenn Du inne Wiehnachspredigt vonne Kanzel dreimol „Trumpf“ seggen deist. Wat meens dotau? Wills mit mi wetten? So billig komms an den düren Krom nich wedder ran!“

Die anderen Spieler waren hell begeistert und boten an, sich zu beteiligen.
„Ne Kist Wien mit twölf Buddels von den gouden Wien, den sick sonst keen een leisten kann. Wat meenst, wult Du da inslahn?“ reizte Stöver weiter.
Behnke kratzte sich am Hinterkopf, und man sah ihm an, daß er beinahe, nahe, noch näher an der Versuchung landete.
„Jau, mookt wi. De Wett sall gellen!“
Nun gab es kein Zurück mehr. Die Situation hatte ihn überrumpelt: verlorene Spiele, zuviel Rotwein im Hirn, die Verlockung, die Zeugen. Die ganze Gaststube. Schließlich hatten ja auch die Nichtspieler lange Ohren gemacht.
Wie auch sonst immer alles, was im Krug besprochen wurde, breitete sich die Kunde von der außergewöhnlichen Wette – diesmal aber mit Sturmeseile – im gesamten Dorf aus. „Hest all hört? De Pastor hett mit Stövern wett', dat he inne Wiehnachtspredigt dreimol „Trumpf“ seggen will. Kann je woll nich angohn!
Wat hett dat Kortenspälen denn mitte Kark to daun? Süss heit' dat doch ümmer, dat de Korten den Düwel sien Gebetsbauk sünd. Un denn noch to Wiehnachten! Oh nee, oh nee! Wat dütt woll ward!“ So etwa müssen sich die Bedenken der Dörfler wohl angehört haben. Welche Gedanken Pastor Behnke durch den Kopf gingen, ist natürlich nicht überliefert. Aber vorstellen konnten sich wohl alle, daß er ganz schön bedröppelt sein würde.
Später sollte in der Kirchenchronik zu lesen sein, daß an diesem Gottesdienst so viele Gläubige teilnahmen wie niemals zuvor.

Heiligabend war da. Die Kirche war rappelvoll. In der ersten Reihe saßen die Spielkameraden des Pastors mit teils unschuldigen, teils hochspannungsgeröteten Gesichtern, denen förmlich anzusehen war, was sich dahinter in den dazugehörigen Köpfen abspielte : „Deit he dat würklich? Kann dat angohn, dat he in sien Predigt woraffig dreimol 'Trumpf' seggen deit?“

Kantor Immermeier hatte seine Präludien beendet, und nun erschien ENDLICH die Hauptperson der Veranstaltung, Pastor Jochen Behnke. In gewohnter Manier schritt er ruhig aus der Sakristei, wobei er den Kopf einziehen mußte seiner Größe wegen. Mit gefaßter Miene, ohne irgendein Zeichen von Nervosität, ohne Unsicherheit beim Gehen, erstieg er die Kanzel und blickte eine ganze Weile in seine Kirche hinein, schien sich überzeugen zu wollen, daß auch alle seine Schäfchen erschienen wären - und lächelte. Er lächelte!!! Stöver dachte: „Wenn Di dat Grienen man nich vergeiht. Ick glöv, Dien Wien kann Di sülms köpen!“

Dann begann der Donner.
„TRUMPF! - TRUMPF! - und noch einmal TRUMPF!!! So sagen die Skatspieler.

Ich aber sage: TRIUMPH! - denn uns ist heute der Heiland geboren!!!“

Behnkes Stimme ließ das Kirchenschiff wanken.
Stöver kalkulierte im Kopf schon mal die Rechnung für die Kiste Rotwein...

(Heinrich Baumgarten, 03.12.2017)



Arbeitsloses Geld


„Money, you are fired!“ könnte Trump gesagt haben. Er hat genug davon – nicht von der Praxis des Feuerns, sondern vom Geld. Uns Normalsterblichen bleibt nur die Frustration, die wir jedes Mal empfinden bei dem Versuch, einer 50-Euro-Note eine Schippe in die Hand zu drücken, um sie zur Arbeit zu animieren.
Trotzdem war das meistgenutzte Werbemotto der Banken jahrzehntelang ebendiese Aufforderung:
„Lassen Sie Ihr Geld für sich arbeiten.“
Feierabend. Zunächst Altersteilzeit in Form von Zinssenkungen, Unüberschaubarkeit von gepriesenen Anlagemöglichkeiten, unter- oder überqualifizierte Beschäftigung und andere Widrigkeiten verleideten dem Geld und seinen Besitzern die Weiterarbeit beziehungsweise die Weiterbeschäftigung dieser Arbeitskraft.
Nachdem durch die Nachkommastellung des Zinssatzes und die Inflation die Vermögen der Normalos, also der immer noch so zahlreichen Sparkonten-Inhaber, ständig schmolzen, wurde die nächste Stufe der Enteignung gezündet. Zunächst nur für die Parker größerer Geldbeträge (€ 500.000, dann € 100.000) gedacht, frißt sich der Strafzinssatz von 0,5% nun auch zu Letzteren durch. Ausgerechnet Volks- und Raiffeisenbanken taten den ersten Schritt.  € 10.000 auf Tagesgeld- oder Girokonten sollen nun auch schon abgemolken werden. Wahrhaft genossenschaftliche Solidarität.
Beträge dieser Größenordnung sind es gerade, die dem Normalo die Havarie einer Waschmaschine nicht zur finanziellen Katastrophe gedeihen lassen und ihn davor bewahren können, einen Kleinkredit zu beantragen. Umverteilung immer auf die Kleinen. Waren die Politiker nach dem Urknall der Bankenzockerei nach 2008 zu feige, eine der Banken pleitegehen zu lassen, setzten sie ein miserables Zeichen für die Branche, die es als „Weiter so“ interpretierte. Der Steuerzahler half natürlich aus und wird auch weiterhin gemolken durch (s.o.) Zinssenkungen, Strafzinsen und erhöhte Kontogebühren. Einige Banken erheben jetzt gar schon Gebühren, wenn sich ein Kunde Bargeld von seinem Konto beschaffen will.
Die ständig wiederholten Überlegungen zur Abschaffung des Bargelds, die tatsächlich einige Vorteile bringen könnte (kein Schwarzgeld, keine Hehlerei, kein Drogenhandel, keine Raubüberfälle mehr), sind jedoch nur vorgeschoben, damit die Banken alles Finanzielle nach Belieben regeln und mit Gebühren belegen können, und der Staat die lückenlose Überwachung seines gläsernen Souveräns auch auf diesen Bereich ausdehnen kann. „Der Staat“ - wer oder was ist das überhaupt noch?
Am Beispiel der Superdemokratie USA erfahren wir gerade, wie Geld als tödliche Waffe benutzt wird. Die neue amerikanische Bildungsministerin Betsy DeVos, Milliardärin, stiftete den Republikanern im Wahlkampf die unvorstellbare Summe von 300 Millionen Dollar und betonte unverblümt, daß sie dafür auch eine Gegenleistung erwarte. Geschäft halt.
Dadurch kommen Politiker natürlich auch in die Zwickmühle, ihre Wählergunst einzubüßen. Und die Wahrscheinlichkeit, die zu verlieren, ist größer als die, daß ein Superreicher aufhört, superreich zu sein. Alles klar, business as usual, same procedure as always...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Mißstände im Kopf und Kopfstände im Mist -


Angehörige und Abgehörte in windgeräderter Landschaft, auch außerhalb der Spargelzeit, möchten am liebsten die Energiewände hochsteigen und die Fracker mit dem Salzstock verprügeln.